Christina E. Meyer

Online Marketing Expert. Master in Business Administration with Major in Marketing.

Tagebuch meiner Lungenembolie

Im Herbst 2013 erlitt ich schwere, beidseitige Lungenembolien. Ich habe meine Krankheitsgeschichte nun aufgeschrieben, von den ersten Symptomen bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus. Ich hoffe, dass dies anderen Menschen dabei hilft, die Symptome früher zu erkennen. Bei mir war eine Lungenembolie so unwahrscheinlich, dass es dreieinhalb Wochen gedauert hat von den ersten Anzeichen, bis ich endlich im Krankenhaus behandelt wurde. Ich hätte in dieser Zeit sterben oder bleibende Schäden erleiden können. Eine Lungenembolie kann jede Frau treffen, vor allem wenn sie die Pille nimmt.

Anfang Oktober 2013

Ich bin 29 Jahre jung, sportlich, normalgewichtig und überzeugte Nichtraucherin. Ich bin zufrieden mit meinem Leben und schaue optimistisch in die Zukunft: Nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit habe ich die ideale Stelle angefangen. Nach einem Tief in meinem Sport Sanda-Boxen, welchen ich wettkampfmässig betreibe, bin ich zuversichtlich dass ich auch hier vorankommen werde. Im Sommer habe ich als Ergänzung zu meinem Kampfsport-Training mit Crossfit angefangen. Ich fühle mich so fit wie nie zuvor.

Ich habe seit einigen Monaten öfters Wadenschmerzen und führe dies auf die ungewohnten Trainings zurück. Rückblickend kann es sein, dass sich Venenthrombosen bemerkbar gemacht haben. 

Donnerstag 10.10.13

Ich bin am Abend im Crossfit-Training. Ich stelle fest, dass mein Kreislauf heute überhaupt nicht mitmacht. Ich schleppe mich durch das Training und bin danach frustriert über meine Leistung. Ich sage mir, dass ich halt mal einen schlechten Tag gehabt habe. Heute weiss ich, dass das das erste Mal war, dass sich die Lungenembolie bemerkbar gemacht hat.

Samstag 12.10.13

Heute haben mein Freund und ich eine Keller-Entrümpelung geplant. Ich habe gestern Abend auf das Training verzichtet, um heute fit zu sein. Zudem fühle ich mich seit dem Crossfit-Training am Donnerstag etwas krank, irgendwie schlapp und leicht fiebrig. Wir stehen früh auf, holen das Auto und beginnen Sachen aus dem Keller zu holen. Die Treppe zum Keller umfasst nur wenige Stufen. Die Sachen sind nicht schwer und doch habe ich Mühe, sie zu schleppen. Ich fühle mich einfach nicht gut und denke, dass ich wahrscheinlich einen Virus eingefangen habe. Nachdem wir alles entsorgt und das Auto zurückgebracht haben, schlafe ich für den Rest des Tages. 

Montag 14.10.13

Ich habe mich den Rest des Wochenendes ausgeruht und bin zuversichtlich, dass ich heute Abend wieder trainieren kann. Ich gehe ins Sanda-Training und wir beginnen wie immer mit lockerem Joggen. Nach wenigen Runden wird mir schwarz vor Augen und ich muss eine Pause einlegen. Ich ziehe das Training durch, so gut es geht. Ich trainiere ganz locker und konzentriere mich auf die Technik. Aber das ist meinem Kreislauf eigentlich auch schon zu viel. Nachdem ich den Puls mal etwas hochgebracht habe, muss ich anfangen zu husten. Ich mache einen schlechten Witz, dass ich schon töne wie unser Trainer, der an einer  schweren Lungenkrankheit leidet. Ich schliesse daraus, dass ich erkältet bin und mich halt in den nächsten Tagen schonen muss.

Freitag 18.10.13

Ich habe mich die ganze Woche nicht gut gefühlt, aber auch nicht schlecht genug, um zu Hause zu bleiben. Ich habe starke Entzündungen im oberen Rücken und fühle mich schlapp. Als ich heute Abend zu Fuss von der Arbeit nach Hause gehe, habe ich das Gefühl, dass es meinen ganzen Brustkorb zusammendrückt und ich deswegen nicht richtig atmen kann. Ich bekomme Angst und rufe sofort in meiner Gesundheitspraxis an. Ich bekomme noch einen Termin am gleichen Abend. Zuhause erzähle ich meinem Freund davon und mache einen weiteren schlechten Witz: „Wenn ich nicht wüsste, dass das praktisch unmöglich ist, würde ich denken dass ich einen Herzinfarkt habe“. Über zwei Wochen später würde ich erfahren, dass ich mit meiner Einschätzung gar nicht so falsch lag. Mein Freund sieht mir an, wie schlecht es mir geht und sagt alle Termine für dieses Wochenende ab. 

Ich gehe zu der Ärztin und erzähle ihr von den Entzündungen, den Kreislaufproblemen beim Sport und dass es mir den Brustkorb zusammendrückt. Sie scheint besorgt, stellt mir ein paar Fragen, lässt Blut untersuchen und tastet mich ab. Die Schmerzen können von aussen nicht ausgelöst werden. Sie fragt mich auch, ob ich geschwollene Beine hatte. Ich glaube, sie denkt zu diesem Zeitpunkt kurz über eine Lungenembolie nach, verwirft die Idee aber wieder. Sie sagt, dass sie mir nicht sagen kann was ich habe. Es könne sein, dass ich so starke Gliederschmerzen habe, dass diese zu Entzündungen geführt haben. Sie verordnet mir eine Woche Behandlung mit entzündungshemmenden Mitteln (Ibuprofen) und Sportverbot. In einer Woche will sie mich nochmals sehen. 

Freitag 25.10.13

Es geht mir  besser und die Entzündungen sind dank dem Medikament weggegangen. Ich habe heute den Kontrolltermin bei der Ärztin. Sie schlägt vor, mich auf das Pfeiffersche Drüsenfieber zu untersuchen und später auch meine Eisenwerte zu testen. Wir entnehmen das Blut für den Drüsenfieber-Test. Ihre Stellvertretung soll mir in der nächsten Woche die Resultate zukommen lassen. 

Sonntag 27.10.13

Ich habe gestern die letzte Ibuprofen-Tablette genommen und freue mich darauf, nächste Woche endlich wieder locker mit Sport anfangen zu können. Ich besuche meine Eltern zum Mittagessen. Als ich am Abend nach Hause komme, fühle ich mich erneut krank. Ich kann nicht genau sagen was mir fehlt, ich fühle mich einfach wieder schlapp und fiebrig. Ich gehe früh ins Bett. 

Donnerstag 31.10.13

Ich habe wieder starke Entzündungen am oberen Rücken, manchmal wenn ich mich am Abend ins Bett lege auch leichte Schmerzen über den Rippen. Ich fühle mich schon die ganze Woche schlapp und fiebrig. Am Abend gehe ich jeweils um 21h ins Bett, damit ich am nächsten Tag ausgeruht bin. Nach einem fiebrigen Schlaf fühle ich mich aber am Morgen nicht viel besser.

Ich habe noch nichts von der Ärztin gehört und sende ihr eine Nachricht um zu fragen, ob sie die Test-Ergebnisse hat. Ich schreibe Ihr auch, dass es mir seit ich keine Medikamente mehr nehme wieder schlechter geht und dass ich mich nochmals untersuchen lassen sollte, falls es nicht das Pfeiffersche Drüsenfieber ist. Eine Antwort bleibt aus.

Freitag 1.11.13

Am Mittag holen wir vom Büro aus Essen in einem Restaurant, das 10 Gehminuten entfernt ist. Auf dem Hinweg merke ich schon, dass ich für diesen Weg auf flachem Gelände zu schwach bin. Ich spreche mit niemandem und konzentriere mich auf die Atmung, damit ich es schaffe. Auf dem Rückweg werde ich immer langsamer und auf halbem Weg muss ich anhalten, weil mein Kreislauf schlapp macht. Ich muss eine Pause einlegen und dann mit Unterstützung meiner Chefin ganz langsam den restlichen Weg machen. Ich bin ganz blass und lege mich im Büro auf das Sofa. Nach einer Weile kann ich aufstehen und setze mich zu den anderen an den Tisch, um etwas zu essen. Zum ersten Mal tritt nun auch Kurzatmigkeit auf. Meine Chefin schickt mich nach Hause. Ich sehe so schlecht aus, dass sie mich nicht mit der Tram gehen lassen will (obwohl es nur 2 Stationen sind). Eine Kollegin bietet freundlicherweise an, mich mit dem Auto nach Hause zu bringen. Wir gehen mit dem Aufzug in die Tiefgarage, dort sind es nur ein paar Schritte bis zum Auto. Als ich im Auto sitze, atme ich wie eine alte Grossmutter, die sich überanstrengt hat. 

Mein Freund arbeitet heute zum Glück von zu Hause aus und kann sich um mich kümmern. Ich rufe sofort in der Arztpraxis an und erhalte einen Termin bei der Stellvertretung, die sich nicht bei mir gemeldet hatte. Da ich mir ÖV nicht zutraue, nehme ich ein Taxi und mein Freund begleitet mich. 

Ich erkläre der Ärztin die ganze Geschichte: Die ausserordentliche Leistungsabnahme beim Sport, der Fast-Zusammenbruch heute Mittag und die Kurzatmigkeit. Ich erkläre ihr auch, dass ich noch nie zuvor solche Kreislaufprobleme hatte. Sie nimmt mich nicht ernst und erklärt mir, dass ich wohl einen Virus habe, der die Kreislaufprobleme verursacht und dass die Kurzatmigkeit vom Hyperventilieren aufgrund der Kreislaufprobleme kommt. Ich erkläre noch einmal, dass dieser Zustand für mich nicht normal ist und sie willigt ein, mein Blut zu untersuchen. Es wird mir Blut vom Finger genommen. Obwohl ich sonst nie Probleme habe, kommt diesmal fast kein Blut raus. Mit Mühe und Not quetscht die Praxisassistentin genügend Blut aus dem Finger. Aufgrund des Blutbildes meint die Ärztin, dass mein Körper auf eine Krankheit reagiert, und ich wohl nochmals einen neuen Virus eingefangen habe. Sie verordnet mir wieder Ibuprofen gegen die Entzündungen und schreibt mich für Montag und Dienstag krank. Sie sagt mir auch, dass ich mehr trinken muss, weil mein Blut zu dick sei. 

Samstag 2.11.13

Ich konnte in der Nacht wegen den Schmerzen kaum schlafen und bin schon früh auf. Das Ibuprofen wirkt nicht. Ich trinke so viel, wie ich kann. Wenn ich mich für eine Toilettenpause vom Sofa ins Bad und wieder zurück bewegt habe, muss ich mich hinsetzen und warten, bis sich mein Kreislauf und meine Atmung normalisieren. 

Sonntag 3.11.13

In der Nacht habe ich kaum geschlafen. Ich habe jetzt zusätzlich Schmerzen rechts über der Rippe. Wenn ich flach liege, sind die Schmerzen nicht auszuhalten. Ich habe darum die Hälfte der Nacht im Wohnzimmer auf dem Sofa in halb sitzender Stellung verbracht. Mein Freund hat genug. Er ruft in der Notfallpraxis an und fragt, ob sie mehr machen können als mir einfach Ibuprofen zu geben. Sonst gehe er direkt mit mir ins Krankenhaus. Ich finde Krankenhaus übertrieben und wir fahren wir mit dem Taxi zur Notfallpraxis.

Ich erzähle dem Arzt die ganze Geschichte und es kommt ihm sofort komisch vor, dass jemand mit meinem Fitnesslevel so starke Kreislaufprobleme hat. Ich habe einen Ruhepuls von 90, was für mich sehr hoch ist (normalerweise liegt er bei ca. 60). Er ist der erste Arzt der aufgreift, dass ich Schmerzen beim Atmen habe. Er ordnet weitere Bluttests, ein EKG und ein Röntgenbild der Lunge an. Wir erfahren, dass das EKG auffällig ist und es im unteren Drittel des rechten Lungenflügels einen Schatten hat – der Arzt kann nicht sagen, ob es Flüssigkeit ist oder ob der Lungenflügel zusammenklebt, weil nicht genügend Luft reinkommt. Er meint, dass ich im schlimmsten Fall eine Lungenembolie haben könnte und er mich für weitere Abklärungen ins Krankenhaus überweist. 

Im Krankenhaus werden zuerst weitere Bluttests vorgenommen. In meinem Blut befinden sich Stoffe, die auf eine Lungenembolie hindeuten. Es wird eine Computertomographie durchgeführt. Diese zeigt mehrere Lungenembolien auf beiden Seiten. Es sind unter Anderem parazentrale Gefässe betoffen (zweitgrösste Blutgefässe). Die Lunge war tatsächlich nicht mehr richtig versorgt und der untere Drittel des rechten Lungenflügels klebt zusammen. Ab dem Moment der Diagnose darf ich keinen Schritt mehr machen – das Risiko ist zu gross, dass sich weitere Blutgerinnsel lösen und zur Lunge wandern. Für mich ist das bizarr, bin ich doch über 3 Wochen mit dieser Krankheit rumgelaufen. Ich bekomme sofort Blutverdünner und werde zur Beobachtung auf die Intensivstation eingewiesen. Dort können sie mir endlich etwas Wirksames gegen die Schmerzen geben. Ich darf das Bett nicht verlassen und werde rund rum die Uhr überwacht. 

Montag – Mittwoch 4.-6.11.13

Am Montag Mittag werde ich mit stabilem Zustand auf die normale Station verlegt. Unter Aufsicht darf ich nun wieder aufstehen. Ich beginne mich über die Krankheit zu informieren. Je mehr ich erfahre und Reaktionen aus meinem Umfeld erhalte, desto mehr wird mir bewusst, wie ernst die Lage war und wie viel Glück im Unglück ich gehabt habe. Das Pflegepersonal behandelt mich wie ein rohes Ei. Zuerst darf ich nur unter Aufsicht aufstehen und muss für jeden Toilettenbesuch eine Schwester rufen. Zu Untersuchungen werde ich im Rollstuhl chauffiert. Die Untersuchungen zeigen, dass ich keine bleibenden Schäden an Herz und Lunge habe. Ich werde nun ein halbes Jahr mit Blutverdünner behandelt, anschliessend kann man abklären, ob ich an einer angeborenen Gerinnungsstörung leide (was nicht der Fall war, wie sich später herausstellte). 

Am Mittwoch Abend komme ich nach Hause und es läuft in Fernsehen gerade eine Sendung zum Fall „Céline“ – das Mädchen, das nach einer Lungenembolie schwerst behindert ist. Mir wird noch mehr bewusst, wie viel Glück ich gehabt habe und wie schlimm es hätte ausgehen können. Ich bin noch bis und mit übernächste Woche krank geschrieben, danach kann ich mit Blutverdünnter zurück in mein gewohntes Leben. Nur auf Kontaktsport muss ich vorerst verzichten. 

 

Selfie aus dem Krankenhaus. So unscharf das Bild auch ist, ich fühlte mich noch viel unschärfer. 

Selfie aus dem Krankenhaus. So unscharf das Bild auch ist, ich fühlte mich noch viel unschärfer. 

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